Hermann Scheer

Energiewende – #Energiesystemkonflikt


Update April 2021. Im Juni schrieb ich Folgendes:

(Juni 2015) „Wir müssen uns nicht wundern, warum die Energiewende jetzt ins Stocken geraten ist. Dahinter steckt ein Konflikt weit unterschätzten Ausmaßes, der in seiner Tiefe einige Überraschungen birgt und der von Politik und Medien bisher völlig ausgeblendet wird.“

(April 2021) An diesem grundsätzlichen Konflikt hat sich nichts geändert und immer noch sind Medien und Politik nicht in der Lage diesen Konflikt zu beschreiben. Ob die Grünen, die im aktuellen Bundestagswahlkampf nach aktuellen Umfragen erfreulicherweise vor der CDU liegen, diesen #Energiesystemkonflikt thematisieren werden, kann ich nicht glauben, möchte aber mit der Aktualisierung dieses 6 Jahre alten Artikels darauf hinweisen, dass wir mit der Energiewende nicht weiterkommen werden, wenn dieses Kapitel, das Hermann Scheer aufgeworfen hat und das immer noch im Raum steht, nicht behandelt und thematisiert wird.

Ein Strukturkonflikt

Hermann Scheer spricht in seinem Buch – Der Energethische Imperativ * – von einem Strukturkonflikt zweier konträrer Energiesysteme. Ein Erneuerbares Energiesystem ist grundsätzlich anders und kann alte Strukturen nicht erhalten.

Obwohl die Energiewende eine gesetzlich beschlossene Sache ist, ist ihr Ablauf keinesfalls festgelegt und geschieht nicht nach einem Plan, der den tatsächlich vorhandenen strukturellen Unterschied zweier Energiearten, der alten zentralen Energieerzeugung und der neuen erneuerbaren dezentralen Energieerzeugung, und deren wirtschaftlichen beteiligten ausreichend berücksichtigt. Nein, es wird und wurde auf diesen Konflikt seit dem Tod von Hermann Scheer am 14. 4. 2010 nicht mehr eingegangen. Von wem auch, denn den Kohleanhängern in der SPD war Scheer mit diesem Punkt immer ein Dorn im Auge. Und die Grünen haben diesen Punkt in den letzten 10 Jahren nicht thematisiert.

Nun kann man meinen, die Energiewende käme deshalb nicht voran, weil technische Komponenten noch nicht ausgereift oder vorhanden wären (fehlende Stromnetze, Speicher usw.). Wir lesen z.B. ständig, dass wegen fehlender Stromleitungen Stromüberschüsse ins Ausland abgeschoben werden müssen. Das haben wir auch schon in 2015 gelesen. In den letzten 5 Jahren wurde dann auch endlich der desaströse Umgang mit der Solarenergie thematisiert, der zur Liquidierung der deutschen Solarbranche geführt hatte. Ab 2012 sind diesem Umgang in der Energiewende 100.000 Solararbeitsplätze zum Opfer gefallen. Nun kommen noch 40.000 in der Windbranche dazu. Wir haben es also in der Energiewende keinesfalls mit einem geregelten Ablauf zu tun, sondern eher mit einer Chaosveranstaltung, die auch eine echte wirtschaftliche Bedeutung hat.

Wenn die größte Pleitewelle in Deutschland nach dem Krieg, deren Opfer ja nicht etwa die Mitarbeiter in einer veralteten Technik waren, sondern diejenigen, die eine neue fortschrittliche Technik vertrieben haben, dann auch keine mediale Aufmerksamkeit bekommt, dann muss man sich fragen, welche Art von Verwerfung hier eigentlich vorliegt?

Der falsche Eindruck

In Wahrheit haben wir es mit vielen Eindrücken zu tun, die aber irgendwie kaum zueinander finden. In Wirklichkeit gibt es einen ganz anderen Grund der zu all den Zerwürfnissen führte und Hermann Scheer hat auch schon früher davor gewarnt, dazu unten mehr.  Viele Dinge werden meist vorgeschoben und sie sind Zeichen einer grundsätzlich falschen Energiepolitik. Tatsächlich sind technische Probleme nicht gegeben, aber einige Fehlentscheidungen sind zu sehen. Wegen des Klimawandels geht es nun umso mehr um die Geschwindigkeit der Energiewende. Das alte Energiesystem ist naturgemäß an einem sehr langsamen Wechsel hin zu erneuerbaren Energien interessiert. Deshalb wird alles Mögliche unternommen, die Geschwindigkeit zu bremsen und es werden natürlich auch Scheinbegründungen geliefert und Desinformationskampagnen veranstaltet, um so lange wie möglich noch an den alten Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken verdienen zu können und so wie es jetzt scheint, sogar den nochmaligen Wiedereinstieg in die Atomenergie voranzutreiben.

Hermann Scheer und der Energiesystemkonflikt

Hermann Scheer - Energiesystemkonflikt

Hermann Scheer, einer der Väter der Energiewende

Hermann Scheer, einer der Pioniere der Energiewende, hatte diese Situation schon sehr früh vorhergesehen und in seinem Buch „Der Energethische Imperativ“ beschrieben. Er sagte in einem seiner letzten Vorträge: „Grundlegende Veränderungen haben immer nur neue Akteure bewirkt. Das elektrische Licht z.B. wurde nicht von den Kerzenmachern vorangetrieben. Das Automobil bekam keine Unterstützung von den Droschkenmachern und die digitale Fotografie wurde nicht von Kodak oder Agfa begrüßt.“
Scheer warnte schon sehr früh davor, die Energiedebatte nur auf ökologische und technische Aspekte beschränkt zu betrachten und sie damit zu entpolitisieren. „Weil sich die alten Energien derart dramatisch von den neuen Energien unterscheiden, wird man keine geeignete Strategie finden können, wenn man glaubt, die eine Energie ließe sich einfach so gegen die andere austauschen.“

Der Konflikt der nie gelöst wurde – Energiedebatten, die mehr verschleiern als sie enthüllen

In vielen seiner engagierten Vorträge erklärte Hermann Scheer die Grundlagen und die Konsequenzen unseres Energiesystems und demaskierte die Energiedebatten, die mehr verschleiern, als sie enthüllen. Von der Prämisse ausgehend, dass Energie eben nicht gleich Energie ist, veranschaulichte er deutlich und immer noch hochaktuell, welchen Einfluss die Wahl des Energieträgers auf die Entwicklung des gesellschaftlichen Energiesystems hat und dass der Wechsel zu Erneuerbaren Energien notwendigerweise einen Systemkonflikt erzeugt. Die Folgen dieses unbearbeiteten Konfliktes sind vielfältig, verzögern und verteuern die Energiewende unnötig und deshalb lässt man es so aussehen als müsse man noch etliche technische Probleme lösen bevor es weitergehen kann.

Hermann Scheer – Welche Energie eingesetzt wird…

„Die Frage aber, welche Energie … eingesetzt wird, hat … und das ist wenigen Leuten bewusst – vor allem nicht den Energiewissenschaftlern, …. eine entscheidende Prägung für alles was geschieht. Für die wirtschaftliche Entwicklung, für die kulturelle Entwicklung, für die Art und Weise der industriellen Ausprägung, für die Frage der internationalen Politik. …. Die Energiedebatte ist im Kern …. eine Debatte zwischen atomaren und fossilen Energien einerseits und Erneuerbaren Energien anderseits. Viele wollen diese Debatte verschweigen in dem sie so tun als wäre Energie gleich Energie. Damit beginnt der große Irrtum und auch die große Vernebelung.

Energie ist nicht gleich Energie

Zwischen diesen beiden Grundenergien … den konventionellen Energien …. und den Erneuerbaren Energien … liegen Welten. Und es sind nicht nur ökologische Welten, es sind soziologische Welten, es sind politische Welten. Und diejenigen die dieses nicht wahrnehmen wollen, weil sie in der alten, in der gewohnten Energiewelt haften bleiben, lenken davon systematisch ab, durch … sehr vordergründige Debatten über Energiemärkte über Energiepreise. Das sind Debatten die von Grund auf verlogen sind weil sie noch nicht einmal im entferntesten die ökonomische Wahrheit sagen….“
Eine der verblüffendsten und zugleich wichtigsten Einsichten über Energiesysteme ist die folgende Aussage:

Die Energiequelle selbst bestimmt alles was danach geschieht !

Warum? Hinter dieser einfachen These verbirgt sich ein sehr komplexer Zusammenhang. Hermann Scheer zieht aufgrund seiner klaren Analyse gleich mehreren Schlussfolgerungen. Eine davon heißt: Es gibt einen Energiesystemkonflikt, der allein durch die Wahl der Energiequelle gegeben ist. Die Wahl der Energiequelle bestimmt das Energiesystem. Nach der Wahl der Energiequelle ergibt sich eine Automatik, die besagt was geschehen wird und zwar zwangsläufig, sozusagen unumgänglich.
Das herkömmliche Energiesystem erfordert z.B. beim Öl eine ganze Reihe von Dingen: Lizenzen zur Förderung, eine Förder- und Aufbereitungstechnik, Pipelines, eine Transportinfrastruktur mit einem Milliardenaufwand, Raffinerien usw.. Sie bestimmt damit auch die Ausprägung der Unternehmensformen um das alles zu bewegen und aufrecht zu erhalten. Zwangsweise müssen sich dabei, aufgrund des Wettbewerbs, Konzentrationen und am Schluss sogar auch monopolistische Strukturen entwickeln. Dieses „herkömmliche Energiesystem“ hat uns den technischen Fortschritt ermöglicht und es bestimmte damit auch Form unserer technischen Entwicklung.

Ressourcenkriege

Die Ausbeutung „unterirdischer“ fossiler und atomarer Energieträger führt zwangsläufig zu einem zentralistischen und monopolhaften Energiesystem globaler Großkonzerne. Regierungen geraten in deren Abhängigkeit und führen immer wieder Ressourcenkriege zur Absicherung und Aufrechterhaltung eines Systems, welches längst an seine Grenzen stößt und die gesamte Zivilisation akut gefährdet. Daher kann die einzige vernünftige Lösung nur im beschleunigten Ausbau eines dezentralen und auf Erneuerbaren Energien basierenden Energiesystems bestehen.

Daraus ergeben sich weitere entscheidende Konsequenzen für eine erfolgreiche Strategie. Wir müssen das verstehen, dann ist die Umsetzung der Energiewende schneller und kostengünstiger erreichbar.

Schwerwiegende Konsequenzen

Eine weitere Schlussfolgerung Hermann Scheers heißt: „Wer das Energiesystem von heute meint aufrecht erhalten zu können und nur die Energiequellen auswechseln braucht, der irrt gewaltig. Es geht gar nicht. Die Erneuerbaren Energiequellen sind nahezu überall dezentral einsetzbar. Wir brauchen keine Fördertechnik, wir brauchen keine Transportinfrastrukturen, die ständig Geld verschlingen, weil die Quellen am Ort des Verbrauches entstehen können und werden. Alle technischen und wirtschaftlichen Infrastrukturen aus dem alten Energiesystem werden überflüssig. Es werden andere, die keine Konzentration und Monopolstrukturen nach sich ziehen können.“
Beim Strom ergibt sich daraus: Jeder kann gleichzeitig Stromerzeuger und Verbraucher sein (Prosumer) und damit kann die Macht der Energiekonzerne in der bisherigen Form nicht erhalten bleiben und muss aufgegeben bzw. deren Struktur muss sich einschränken und neu definieren.

Hier ein  Vortrag den Herman Scheer einen Monat vor seinem Tode zu diesem Thema gehalten hat (Teil 1 – 4  jeweils ca. 10min – äußerst sehenswert).

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Weitere Hintergründe lesen Sie auf der dunklen Seite der Energiewende

* Der Energethische Imperativ bei Google-Books, D. Strukturkonflikt: Das Spannungsfeld zwischen konträren Energiesystemen.