Last Updated 26. Juli 2023
Gastartikel von Joshua Ben
DER DEUTSCHE STROMWAHNSINN
Sagen wir wie es ist:
Deutsche Politiker:innen haben in der Regel keine Ahnung davon, wie die Energiewirtschaft in Deutschland tatsächlich funktioniert. Natürlich lassen Sie sich den ein oder anderen Mechanismus von Expert:innen erklären, aber selbst die grundlegenden Prinzipien werden meist nur rudimentär verstanden. Das ist in der politischen Arbeit auch kein größeres Problem, weil die Sacharbeit von den Expert:innen in den verschiedenen Gremien und Referaten geleistet und von Fachkundigen zusammen getragen wird.
Im Ergebnis haben sich die Politiker:innen der demokratischen Parteien in der Vergangenheit bei ihren Stellungnahmen und Interviews auf einfache Sachverhalte beschränkt.
Ausnahme waren schon immer die Politiker:innen der AfD.
Denen waren Fakten oder Hintergründen seit jeher egal. Was seit 10 Jahren zu der immer wiederkehrenden Behauptung führt, dass Deutschland kurz vor einem flächendeckenden ‚Black-Out‘ steht und Erneuerbare Energien nicht „grundlastfähig“ seien.
Perfide war daran, dass die Demagogie unter dem Deckmantel der Bürger:inneninformation daher kam.
Vermeintlich wurde da über technische Randbedingungen von Kraftwerken berichtet… die Mechanismen der Strombörse… die Einflüsse der Russland-Politik auf unsere Energiesicherheit… physikalische und chemische Grenzen der Erneuerbaren Energien…
Tatsächlich wurden dreiste Lügen erzählt und Ängste geschürt.
Aber die Bürger:innen wussten, von wem es kommt… und dass man mit den (Des)Informationen der AfD vorsichtig umgehen musste. Sorge bereitet daher, dass mittlerweile auch Politiker:innen der Union und FDP auf diese Desinformationsmasche umgeschwenkt sind.
Natürlich… wenn es gelingt, die Bürger:innen davon zu überzeugen, dass sich in Deutschland tatsächlich ein „Stromwahnsinn“ abspielt, zieht das Wähler:innenstimmen aus der politischen Mitte ins konservative Lager. Dooferweise lässt es auch die abstrusen Ansichten der AfD plausibel erscheinen. Jüngstes Beispiel… die Interpretation… sorry… die Lügen mehrerer Unionpolitikers (Warum sind es eigentlich immer die Männer, die sich mit völlig deppertem Mansplaining hervortun?) zu den aktuellen Entwicklungen an den Strombörsen. (Siehe exemplarisch Grafik 2)
Die FALSCHE Erzählung lautet vereinfacht wie folgt:
Deutschland zahlt immer (drauf). Wenn die unzuverlässigen Erneuerbaren mal wieder nicht liefern können, zahlen wir horrende Strompreise für den Import von (Atom-)Strom (aus Frankreich). Wenn die flatterhaften Erneuerbaren ausnahmsweise viel Strom produzieren, müssen wir auch noch viel Geld dafür zahlen, dass wir diesen Strom überhaupt loswerden.
Die Rechnung zahlen wir alle und die deutsche Industrie leidet.
Wie sieht nun die Realität aus?
Schauen wir uns Grafik 1 an. Die Originaldaten finden sich bei https://www.smard.de/home/marktdaten
Zur Erläuterung:
Die linke y-Achse bildet die erzeugten Strommengen bzw. den physikalischen Außenhandel ab. Farbig dargestellt sind die unterschiedlichen Erzeugungsarten. Grün für Biomasse… hellblau für Wasserkraft… blau für Wind… gelb für Fotovoltaik.
Braun für Braunkohle… Schwarz für Steinkohle… grau für Erdgas.
Die schwarze Linie gibt den Außenhandel wieder. D.h. jene Strommengen, die importiert werden mussten, weil die inländische Produktion den Bedarf nicht decken konnte/wollte. Aber auch jene Mengen, die exportiert wurden, wenn die deutsche Stromproduktion größer war als der Binnenbedarf.
Die rechte y-Achse bildet die gewichteten Großhandelspreise an der Strombörse im Day-Ahead-Markt ab. Dargestellt sind die Börsenpreise in der bräunlichen Linie.
Hier fällt sofort ins Auge:
Am 2. Juli 2023 sind die Börsenpreise ins Negative gerutscht. Zwischen 14 und 15 Uhr sogar auf einen Preis von -500 €/MWh.
D.h. Erzeuger, die Strom verkaufen wollten/mussten, haben kein Geld eingenommen, sondern mussten 50 ct/kWh dafür zahlen, dass sie ihren Strom überhaupt loswurden.
Wie negative Börsenpreise entstehen, wird hier recht gut erklärt:
https://www.smard.de/page/home/wiki-article/446/105414
Was konservative Politiker bei ihrem Populismus unterschlagen: Des Einen Leid ist des Anderen Freud.
Wenn die Börsenpreise nämlich negativ sind, ärgert das zwar (manche) Erzeuger… freut aber die Verbraucher.
Bleiben wir beim 2. Juli, 14 Uhr.
Hier wurden 10.437,75 MWh Strom ins Ausland exportiert und dafür mussten die Erzeuger dann 5.218.875 € zahlen.
Gleichzeitig wurden in Deutschland allerdings auch 56.448 MWh verbraucht. Dafür bekamen die Verbraucher dann 28.224.000€ „geschenkt“.
Da soll mir ein Unionspolitiker doch bitte mal erklären, inwiefern deutsche Verbraucher und die deutsche Wirtschaft dadurch geschädigt werden.
Kommen wir zur nächsten Unionsaussage:
Wenn die Erneuerbaren mal wieder nicht ausreichen, muss Importstrom teuer bezahlt werden. Deshalb sind unsere Strompreise so hoch. Was insbesondere nationalistische Politiker:innen offensichtlich nicht verstehen wollen oder können, ist der Umstand, dass sich deutsche Börsenpreise nicht nur aus den Erzeugungsmengen in Deutschland ergeben.
Wir bewegen uns in einem europäischen Strommarkt, in dem ein Austausch von Strommengen nicht nur aus wirtschaftlichen Überlegungen resultiert, sondern sowohl der Netzstabilität als auch Versorgungssicherheit in ganz Europa dient.
Strompreise sind an der Börse häufig nur Momentaufnahmen. Grafik 3 zeigt, dass wir im europäischen Vergleich momentan ziemlich gut aufgestellt sind.
Grafik 3
Nur die nordischen Ländern haben regelmäßig deutlich günstigere Strompreise… weil deren Anteil an erneuerbarer Energie deutlich höher ist. (Ich bin wirklich gespannt, in welchem Jahrzehnt konservative Politiker:innen realisieren werden, dass erneuerbarer Strom tatsächlich der günstigst mögliche Strom ist. #Grenzkosten).
Die gegenwärtigen Strompreise… und das schließt auch importierten Strom ein… befinden sich auf einem Niveau, wie wir es seit Mitte 2021 nicht mehr hatten. Also seit einer Zeit, in der ‚Die Grünen‘ noch nicht den „Deutschen Stromwahnsinn“ heraufbeschworen hatten. Halbwegs intelligente Menschen lässt dies vermuten, dass die Sache mit den Strompreisen womöglich doch ein wenig komplizierter ist als es konservative Politiker behaupten.
Sorge bereit dabei nicht, DASS eben jene Politiker hanebüchenen Unsinn erzählen.
Das könnte auch zu ihrer Diskreditierung beitragen:
Sorge bereitet… und das zeigen die Reaktionen auf die entsprechenden Beiträge… dass dieser Unsinn massenhaft geglaubt wird.
Es ist aber sooooo schön, wenn komplexe Sachverhalte einleuchtend in vier Zeilen „Erklärung“ dargestellt werden. Im Gegensatz dazu ist dieser Beitrag schon wieder viel zu lang geraten.
Aufklärung hilft in diesem Falle also nicht wirklich. Denn diejenigen, die diesen Beitrag lesen sollten, haben gar keinen Bock auf so ausufernde Erklärungen. Außerdem ist das alles viel zu undurchsichtig.
Das Einzige, was tatsächlich helfen würde, wäre, wenn Du… ja genau DU… beim nächsten realen Zusammentreffen mit einem konservativen Politiker Deiner Wahl mal Tacheles redest:
„Hört endlich auf mit dieser elendigen Desinformation. Erzählt Euren Parteivorsitzenden Markus Söder und Friedrich Merz, dass sie dabei sind, die politische Debatte komplett zu versauen. Ja, das bringt Euch tatsächlich ein paar Wählerstimmen. Aber noch vielmehr schadet es der Demokratie, spielt der AfD in die Karten und verunsichert die Menschen völlig unnötig. Seid keine Arschlöcher! Danke für’s Zuhören.“
1280px-Baureihe52Heizer, Heizer bei der Arbeit auf der Lokomotive Baureihe 52 7409 Stadt Würzburg. Mussklprozz – Eigenes Werk https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Mussklprozz
Anmerkung von Energiewende-Rocken:
Solange Journalismus nicht in der Lage ist, diese Tricks zu durchschauen und darüber zu berichten, bleiben solche Falsch-Behauptungen von AfD, FDP und den C-Parteien natürlich Bestandteil in allen politischen Debatten. In der Energiewende wird Strom der wichtigste Bestandteil unserer Energie sein. Wenn dann aber solch wichtige Kennzahlen jetzt schon wegen riesiger Wissenslücken nicht interpretiert werden können, sollten wir uns überlegen, ob es doch nicht doch Zwangsschulungen für Journalisten geben muss. Ich weiß „Zwangsschulungen“ klingt jetzt nicht populär, vielleicht wäre Nachhilfe besser. Aber wer die Klassenziele nicht erreicht, bleibt sitzen und wenn das mehrfach passiert, fliegt er von der Schule. Aber wenn sich doch ganz andere neue Regeln ergeben, können Journalisten nicht mehr mit den alten Regeln weiter argumentieren. Wir können keine Heizer zum Kohle schaufeln auf E-Loks beschäftigen.
Sonnige Grüße
Klaus Müller
Energiewende-Rocken
Hab ich alles gemacht Klaus… nächstes Opfer wird der Fritzi…. der kommt hierher… aber es geht rechts rein links raus…. Sie wollen es nicht hören oder sind zu einfältig es zu verstehen oder beim Fritzi könnt ich mir halt auch vorstellen das er seinem Aufsichtsratsposten bei Blackrock näher steht als dem Rest von DE/EU