Last Updated 9. November 2020
Früher hieß es: Sie wissen nicht, was sie tun
Heute heißt es: Sie tun nicht, was sie wissen
Die Ölparty ist vorbei: das Festhalten an der Fossilwirtschaft schafft eine trügerische Komfortzone, die wir umgehend verlassen müssen – denn dieser Komfort ist nicht (im ökologischen Sinne) nachhaltig, und damit auch kein stabiler Wohlstand. Nachhaltig daran (im Wortsinn) ist nur die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen. Die Erneuerbaren Energien haben endlich Kostenparität erreicht, und so steht die Weltwirtschaft allein aus simplen wirtschaftlichen Zwängen heraus vor einer disruptiven Klimawende. Wer sie nicht mitgestaltet, wird abgehängt, und möglicherweise sogar für Klimaschäden zur Verantwortung gezogen.
Gastbeitrag Harald Thielen-Redlich
Die Zeit für langfristig koordinierte Maßnahmen läuft ab, mit jedem Tag des Zögerns werden die notwendigen Maßnahmen zum Einhalten des Pariser Abkommens von 2015 gravierender.
Die aktuelle Klima- und Biosphärenforschung prognostiziert für eine Verschleppung von Klimaschutz eine +4°-Welt, die nur noch eine [sic!] Milliarde Menschen ernähren kann.
Noch einmal: eine +4°-Welt kann nur eine Milliarde Menschen ernähren.
Eine einzige Milliarde.
Wieviel Auseinandersetzung, Kampf, Tod und Elend das bedeutet, scheint sich von den Verantwortlichen niemand auch nur ansatzweise vorstellen zu können oder zu wollen.
Eine Fahrlässigkeit noch nie gekannten Ausmaßes.
Die von der Bundesregierung geplante Reduktion der Emissionen bis 2050 auf Netto-Null reichen bei weitem nicht für das 2°, geschweige denn für das 1,5°-Ziel aus. Und da sind die Rückkopplungseffekte noch gar nicht eingerechnet. Wir brauchen maximale Anstrengungen der Reduktion, rechnerisches Ziel ist Netto-Null für 2035. Das ist angesichts der Preise für erneuerbare Energien und des Reduktionspotentials an Fleischkonsum und Flugverkehr absolut machbar.
Wie viel CO2 kann Deutschland noch ausstoßen?
Alles, was Peter Altmaier dazu einfällt, ist das beschwichtigende Eingeständnis des eigenen Versagens, und eine Wasserstoffstrategie, die großteils auf Importen basiert, die wir selbst gar nicht in der Hand haben. Gleichzeitig liegt der bisher wichtigste Treiber der Energiewende, die Bürgerenergie, weiter im Koma.
Im April sind Pläne der Netzbetreiber bekannt geworden, die Bürger-Energiewende weiter auszubremsen – zumindest die Stromspeicherung (als wichtiger Baustein) würde nach diesen Plänen unrentabel, mit dem PV-Deckel zusammen die ganze private PV. Details hier.
Die Strategie: Bürger-Energiewende behindern, Methan und Wasserstoff importieren und über Gasnetze verteilen. Forschungsministerin Karliczek: „Wasserstoff ist das Öl von morgen.“
Und in „sozialen Medien“ und Blogs lese ich ständig Kommentare von „drohender Abzocke durch die Öko-Lobby“. Details hier und hier.
In keinem Industrieland hat Windkraft einen so schlechten Ruf wie in Deutschland
Völlig zu Unrecht: Details hier.
Dasselbe gilt für Elektroautos. Wenn die vielen unberechtigten Befürchtungen und kulturellen Vorbehalte nicht wären, hätten Elektroautos durch ihren enormen Betriebskostenvorteil mit Eigen-PV weit größere Marktchancen: Details hier und hier.
Die großen Hoffnungen der Verbrenner-Industrie, deren Beschäftigten und vieler Verbrenner-Besitzer liegen auf alternativen Brennstoffen, oder auf zukünftigen Brennstoffzellen-Autos. Diese Hoffnungen haben jedoch überhupt keine nachhaltige Grundlage – man fragt sich, warum sie derart vehement geschürt werden: Details hier und hier.
Auf die Defizite seiner Politik angesprochen, leistet Wirtschaftsminister Altmaier bei Anne Will (ARD) am 22.09.2019 seinen klimapolitischen Offenbarungseid: „Ja aber wissen Sie, ich hab‘ die Menschen gefragt, ob sie mitbekommen haben, was der Sachverständigenrat uns empfohlen hat, Herr Edenhofer und sein Potsdamer Institut, das ist in der Öffentlichkeit nicht verankert. Und die Politik hat auch nur begrenzte Möglichkeiten etwas zu kommunizieren, […] aber ich hab‘ bisher noch nicht denjenigen gesehen, der uns erklärt hat, wie das am besten geht.“
Bei der Frage, ob diese Formulierung Altmaiers auch ein Bekenntnis zu den Experten-Empfehlungen zum Klimaschutz darstellt, lohnt sich ein Blick in die Archive. So sei hier noch einmal an Altmaiers Eine-Billion-Euro-Kampagne erinnert. Auch sollte man wissen, dass Altmaier und seine Mitarbeiter enge Beziehungen zu Anti-Windkraft-Aktivisten pflegen. Vor diesem Hintergrund versteht man dann auch seine süffisante Bemerkung bei Maybrit Illner am 24.01.2020 als triumphierende Selbstoffenbarung: „Wir sind eine Demokratie, wo uns gerade die Grünen gezeigt haben, dass es wichtig ist, mit den Menschen vor Ort zu reden, und sie haben Bürgerinitiativen zu allen möglichen Themen organisiert. Und damit müssen sie jetzt leben, dass sich Menschen bei Themen zu Wort melden, die ihnen vielleicht nicht ganz so genehm sind.“
Altmaier erweist sich nicht nur als der Gesetze-Macher der Energiekehrtwende, sondern auch als ihr oberster Stimmungs-Macher.
Altmaier: Die Energiewende kostet bis 2040 eine Billion Euro, wir brauchen eine Strompreisbremse
In aller Kürze auf den Punkt gebracht: im Youtube-Kanal Klartext Klima greifen Klimaforscher Stefan Rahmstorf, Energiewissenschaftler Volker Quaschning und ZDF-Meteorologe Özden Terli die aktuellen Top-Themen der Klimapolitik auf, in Folge 4 mit Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert.
Zusammenfassung
- Die vielen Krisen der Biosphäre, v.a. durch Klimaerwärmung, Überdüngung, Schadstoffimmission und Landnutzung, schreiten immer schneller in Richtung Katastrophe, so wie es die Wissenschaft seit vielen Jahrzehnten vorhersagt. Doch selbst heute noch dürfen Klima- und andere Ökologieskeptiker Desinformation betreiben, ohne dass Politik, Bildungseinrichtungen und Medien dem ernsthaft entgegenwirken würden.
Erst in letzter Zeit beginnen einzelne Justiz-Verfahren wegen Irreführung der Öffentlichkeit – aber nicht etwa um Generationengerechtigkeit zu schaffen, sondern dahinter stecken handfeste wirtschaftliche Interessen.. - „Soziale“ Netzwerke werden als Motor des Fortschritts mit niedrigen Steuersätzen und liberaler Gesetzgebung unterstützt, helfen aber durch teils gezielte Verbreitung von Desinformation und nachweislichen Lügen rechtskonservativen Populisten, die liberalen Demokratien zu unterhöhlen. Auf besondere Resonanz stoßen sie mit der Leugnung der unbequemen Wahrheit, dass die Industriegesellschaften ihren eigenen Untergang immer schneller befördern.
- Artenschutz wird bei uns in oftmals kleinen Reservaten betrieben, die mangels Biotop-Vernetzung das Artensterben nicht aufhalten können. Sie sind kleine Inseln in einem riesigen Meer aus ökologisch mehr oder weniger toten Landwirtschafts-, Verkehrs- und Siedlungsflächen.
Seit Jahrzehnten wird die industrielle Landwirtschaft subventioniert, obwohl von Anfang an vom Bauernsterben die Rede war und die Wissenschaft vor dem Kollaps der Agrar-Ökosysteme warnte, unter anderem einer fatalen Degradation des Bodens, die zudem das Klimaproblem massiv verschärft. Viele Studien zeigen, dass nur eine ökologische Landwirtschaft nachhaltig die Ernährung sicherstellen und auch 10 Milliarden Menschen ernähren kann. Durch Desinformation sind immer noch viele vom Gegenteil überzeugt. - Die Müllkippen und Rauchwolken der 70er sind verschwunden; doch Biosphärenschutz hierzulande erschöpft sich in Emissions-Grenzwerten, die durch jahrzehntelange Immissionen zu einer kritischen Anreicherung von Dünger und unzähligen stabilen Problemstoffen geführt haben. Über die wahre Situation herrscht in weiten Teilen Desinformation.
- Die Umweltbewegung hatte ihren Höhepunkt in den 80er Jahren. Durch mangelnde Lieferketten-Kontrolle, vom Rohstoff bis zur Müllbeseitigung, und durch Desinformation wurde mit der Globalisierung eine Verlagerung der Ressourcen- und Menschen-Ausbeutung ins Ausland und ein Steuer- und Auflagen-Unterbietungs-Wettbewerb für Konzerne möglich, der die Handlungsfähigkeit der Staaten immer weiter einschränkt.
- So wurde in den Industrieländern ein Konsumniveau erreicht, das zwar keine wirklich bedeutende Steigerung des Wohlstands bewirkt, allerdings das Überleben der Menschheit in Frage stellt. Dennoch wird durch Desinformation Angst vor Beschränkungen geschürt, und vor politischen Verwerfungen wegen dieser Beschränkungen. Das Easterlin-Paradox: Wenn Geld nicht mehr glücklich macht
- Erneuerbare Energien (EE) boomen weltweit und könnten den Bürgern eine günstige, CO2-freie Energieversorgung ermöglichen. In den ärmsten Entwicklungsländern basiert die Energieversorgung immer häufiger auf PV und Akkus. Entgegen einhelligen Empfehlungen und Forderungen der Wissenschaft hat deutsche Politik der letzten 10 Jahre dazu geführt, dass der Zubau der EE nahezu stillsteht – mit Ausnahme von Offshore-Windparks, die ausnahmslos von großen Energieversorgern betrieben werden. Und mit Ausnahme der PV, die gerade vor dem Verschließen des PV-Deckels noch einen letzten Boom erlebt.
Dass dabei Offshore-Windkraft nahezu doppelt so teuer sein darf wie ihre ungeliebte Schwester Onshore, ist ein wirklich bemerkenswertes Detail.
Diese Politik wird von denselben Lobbygruppen bestimmt, die in großen Desinformations-Kampagnen den EE die hohen Strompreise zuschreiben. Kampagne der INSM und des RWI gegen die Förderung des Ökostroms - Gegen Elektroautos wurden in Deutschland jahrelang sehr erfolgreich Desinformations-Kampagnen betrieben – obwohl die Autos sehr zuverlässig funktionieren und die Betriebskosten mit Eigen-PV nur einen kleinen Bruchteil der von Verbrennern betragen.
- Brennstoffzellen-Autos und sogar ein Weiterbetrieb der Verbrenner mit alternativen P2L-Treibstoffen werden in Desinformations-Kampagnen als Lösung für Individualmobilität dargestellt. Dabei liegen die benötigten Mengen an EE im Vergleich zu Akku-Elektroautos um ein Vielfaches höher (Brennstoffzelle: 2-3fach, P2L 6-7fach). Stattdessen benötigt man P2L dringend für die saisonale Speicherung der EE in der Sektorenkopplung.
- Die Weichenstellungen gegen Onshore-Windräder werden von Wirtschaftsminister Altmaier gerechtfertigt durch die nationale Wasserstoff-Strategie, die eine Fortsetzung der deutschen Abhängigkeit von Energie-Importen bedeutet, und eine Fortsetzung der zentralen Versorgung durch Energiekonzerne zementiert. Begleitet wird diese Politik von Desinformation durch Windkraft-Gegner.
- Anstatt die echten politischen Ursachen prekärer Lebensumstände wirksam zu adressieren, versprechen Fossilökonomisten dem Bürger Wohlstandssicherung durch billigen Strom, billige Mobilität und billige Nahrung. Dank Desinformation können sie behaupten, das sei nur durch Ausbremsen der Energiewende, industrielle Landwirtschaft und Festhalten am Verbrenner möglich.
- Die Verantwortung wird in der Demokratie hin- und hergeschoben: zuständige MinisterInnen wie Altmaier oder Klöckner beklagen mangelnde Unterstützung durch die Bevölkerung für Umweltgesetze, im Gegenzug weisen Konsumenten auf die Verantwortung der Obrigkeit, die sie selbst gewählt haben.
- Während Finanzminister Scholz den kommenden Generationen geringe Staatsschulden verspricht, sorgt deutsche Politik für eine immense, galoppierende Vernichtung von lebensnotwendigen Ressourcen: das ist Desinformation. In Wirklichkeit leben wir heute auf Kosten unserer Nachkommen.
- Dabei sagen Ökonomen seit Jahrzehnten ohnehin einen Zusammenbruch des lange schon maroden Geldsystems voraus. Die Subprime-Krise war ein deutliches Anzeichen. Mit der Corona-Krise könnte dieser Moment gekommen sein. Man rettet das von Ausbeutung angetriebene System mittels Verschuldung (die per Zinsen wieder den Reichen zugute kommt) bisher von Krise zu Krise, anstatt die Rettungsgelder zukunftsorientiert einzusetzen. Man ist fixiert auf Wachstum, ohne das sich das neoliberale Versprechen vom „Trickle-Down-Effekt“ nicht einlösen lässt, ohne das vor allem aber die immensen Zinsen, Renditen und Mieten an die Investoren nicht gezahlt werden können. Die Geldmenge ist längst um ein Vielfaches höher als die Gegenwerte – d.h. die Währungen völlig überbewertet und eine Entwertung droht. Im Vergleich zu einer Klimakatastrophe ganz sicher ein um Welten geringeres Problem. Natürlich versucht die Geldelite eine Geldentwertung mit allen Mitteln zu verhindern, obwohl eine Entwertung die von immer mehr Ökonomen beklagte Schieflage der Besitzverhältnisse mildern würde. Ein Grundschulkind kann nachvollziehen, warum ewiges Wachstum auf einem begrenzten Planeten unmöglich ist. Dennoch erklärt die Politik ihr Vorgehen als alternativlos: Desinformation.
- Indem immer weiter Subventionen in Fossilunternehmen gepumpt werden, ignoriert man die immer lauter werdenden Warnungen aus der Wirtschaft vor dem Platzen der Carbon Bubble, das ohne Vorsorge einen Großteil der Arbeitsplätze und Werte vernichten wird. Die mittel- und langfristig unschätzbaren Risiken des Status Quo sind den meisten Bürgern nicht klar; man wiegt sie in falscher Sicherheit: das ist Desinformation.
- Der Strukturwandel in der Kohleverstromung kostet weniger als 10.000 Arbeitsplätze, was in der medialen Desinformation eine große Rolle spielt. Dabei sind in der Zukunftsbranche der EE bereits weit über 100.000 Arbeitsplätze und wichtige Schlüssel-Produktionsanlagen verloren gegangen.
- Der aufgeklärte, zukunftsorientierte Teil der Jugend ist verunsichert über die berufliche Zukunft, genauso wie viele junge potentielle Leistungsträger – Berufseinsteiger und grüne Start-Ups – keine Planungssicherheit haben: Desorientierung.
Der Artikel ist im Original hier erschienen.
Es gilt nicht mehr der Satz: Denn sie wissen nicht, was sie tun. Heute muß es heißen: Sie tun nicht, was sie wissen. Robert Jungk
Sonnige Grüße
Klaus Müller
Energiewende-Rocken und eemag
Unser Service, wenn Du diesen Artikel teilen möchtest: einfach den nachfolgenden Text kopieren:
Die Ölparty ist vorbei: das Festhalten an der Fossilwirtschaft schafft eine trügerische Komfortzone, die wir umgehend verlassen müssen. https://energiewende-rocken.org/frueher-hiess-es-denn-sie-wissen-nicht-was-sie-tun-heute-heisst-es-sie-tun-nicht-was-sie-wissen/