Last Updated 28. März 2023
Veröffentlicht am 1.7.2020
Wie arbeitet Lobbyismus?
Viele glauben Lobbyismus würde so funktionieren, wie man sich das eben vorstellt: Da werden Geldsummen in Umschlägen oder Geldkoffern übergeben, gegen politische „Hilfestellungen“ oder Politiker werden am Ende mit Jobs in Aufsichtsräten oder in Vorständen von Konzernen belohnt oder es werden Parteispenden ausgemacht. Ja, das alles kennen wir, aber Lobbyismus ist heute weitaus mehr. Lobbyisten kämpfen an vielen Fronten und sehr viele davon sind uns unbekannt. Wer meinen Blog Energiewende-Rocken regelmäßig liest kennt den Begriff Leise PR (#LeisePR). Und das ist die Methode Meinung zu machen oder Meinung langfristig zu verändern ohne, dass man auf den Auftraggeber zurückschließen kann. Das Parade-Beispiel, dass meine Leser zur LeisenPR kennen ist das EEG-Paradoxon (#eegParadoxon), bei dem es über Jahre gelungen ist, der Bevölkerung ein falsches Bild über die Kosten der Erneuerbaren Energien zu vermitteln und dieses Bild aufrecht zu erhalten, ohne dass Medien darüber aufgeklärt haben, mit einer Ausnahme, das ist die Sendung, die Anstalt vom ZDF im Okt. 2019. Trotzdem ist deren Aufklärung nicht bei den Medien angekommen, sodass dieses falsche Bild immer noch existiert und mit diesem Falschurteil Politik gemacht wird.
Lobbyismus bewegt sich heute auch in einem Medienraum, wo es inzwischen viel weniger Journalisten als PR-Leute gibt. Die Kompetenz der Journalisten nimmt ab und zu betonen ist, dass sich alte Werte im Journalismus immer mehr verflüchtigen, weil auch die Zeit für gute Recherche fehlt. Daneben aber nehmen die sozialen Medien immer mehr Raum ein und damit verstärkt sich die Tendenz zu schlechter Information oder eben zur Desinformation immer mehr. Längst haben die Lobbyverbände auch die sozialen Medien entdeckt und ein Beispiel ist Astroturfing im Bereich der Windkraftgegnergruppen.
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen spricht in einem aktuellen Interview von der gigantischen Medien-Bildungslücke die wir haben. Unten findet ihr das Interview. Pörsken fordert in dem Zusammenhang eine redaktionelle Gesellschaft weil redaktionelle Kompetenz in den Redaktionen abgebaut wird. Er beschreibt das so, Zitat: „Eine Redaktionelle Gesellschaft ist eine Utopie die ich versuche zu entwickeln und die ich versuche mit Substanz zu versehen und die besagt im Kern, wir müssen von der digitalen Gesellschaft, von der wir heute leben zur redaktionellen Gesellschaft der Zukunft werden. Mit dem Ausdruck redaktionelle Gesellschaft meine ich eine Gesellschaft in der die Maxime und Ideale des guten Journalismus, wissend, dass es auch sehr viel schlechten Journalismus gibt, […] in der die Maxime und Ideale des guten Journalismus zu einem Element der Allgemeinbildung geworden sind …“. Zitat Ende.
Hier 10 Thesen von Lobbycontrol:
Lobbyismus höhlt die Demokratie aus:
Warum ist Lobbyismus überhaupt ein Problem? In unserem Lobbyreport 2017 haben wir in zehn Thesen unsere Perspektive auf den heutigen Lobbyismus in Deutschland und der EU dargestellt:
1) Lobbyismus in Deutschland und der EU findet vor dem Hintergrund wachsender gesellschaftlicher Ungleichheiten und verfestigter Machtstrukturen statt.
Diese spiegeln sich im Feld des Lobbyismus wider und sorgen für ungleiche Ausgangsbedingungen. Ohne politische Gegenkräfte oder institutionelle Schranken begünstigt diese ungleiche Verteilung der Ressourcen große, einflussreiche Akteure und gefährdet einen demokratischen, am Gemeinwohl orientierten Interessenausgleich. Das pluralistische Ideal einer ausgewogenen und gleichberechtigten Interessenvertretung, bei der sich praktisch von selbst das beste Argument durchsetzt, ist eine Illusion.
2) Lobbyismus in seiner gegenwärtigen Form benachteiligt diejenigen, die über weniger Ressourcen oder Zugänge verfügen.
Politische Entscheidungen entsprechen häufig den Meinungen Vermögender. Die wachsende Lobbyübermacht der Unternehmen und Wirtschaftsverbände droht, ökologische und soziale Belange an den Rand zu drängen. Ein Beispiel: Die jahrelange Nichtbeachtung der Abgasnormen für Dieselfahrzeuge und die mangelnde Aufklärung dieses Skandals ist dem großen Einfluss der Autolobby zuzuschreiben. Die Kosten für Gesundheit und Umwelt trägt jedoch die gesamte Gesellschaft. Auch Machtgefälle innerhalb und zwischen einzelnen Wirtschaftsbranchen führen zu unausgewogenen Entscheidungen.
3 ) Der Lobbyismus ist vielfältiger, partikularer und professioneller geworden.
Mit dem Regierungsumzug nach Berlin und der vertieften europäischen Integration hat sich die Landschaft der Lobbyakteure erweitert und diversifiziert. Die klassischen Verbände verlieren an Bedeutung. Stattdessen unterhalten viele große Unternehmen eigene Lobbybüros in Berlin, um direkt Einfluss zu nehmen. Viele spezialisierte und hochprofessionelle Lobbydienstleister verkaufen ihr Können an zahlungskräftige Kunden. Neben Lobbyagenturen mischen auch Anwaltskanzleien, Beratungsunternehmen oder intransparent finanzierte Denkfabriken und Stiftungen im politischen Geschäft mit. An privaten Hochschulen bekommen Lobbyist/innen und solche, die es werden wollen, das Handwerkszeug moderner Lobbyarbeit vermittelt. Im Ergebnis ist Lobbyarbeit aufwändiger, teurer und undurchsichtiger geworden – dies begünstigt finanzstarke Akteure und erschwert politische Abwägungsprozesse.
4) Lobbyismus ist mehr als die direkte Beeinflussung politischer Entscheidungsträger: Wissenschaft, Medien und die breite Öffentlichkeit sind längst im Fokus von Lobby- und PR-Kampagnen.
Lobbystrategien umfassen heute die gezielte Ansprache relevanter Gruppen auch außerhalb der offiziellen Politik: Wissenschaftler/innen, Journalist/innen, Bürger/innen und selbst Kinder und Jugendliche. Dabei geht es darum, den politischen Diskurs langfristig zu beeinflussen. Es werden z. B. bestimmte Botschaften platziert („Sozial ist, was Arbeit schafft!“), oder das Image wird aufpoliert, um politischer Regulierung zu entgehen („Greenwashing“). Stimmungen und Trends zu einer konkreten politischen Entscheidungsfrage sollen gezielt verstärkt oder abgeschwächt werden. Journalist/ innen werden dementsprechend mit interessengeleiteter Expertise und Gutachten bedrängt. Sie werden wie politische Entscheider/innen zu Reisen, Veranstaltungen und kostspieligen Events eingeladen. Wissenschaftler/innen und Hochschulen sind begehrte Partner für Lobbyist/innen und ihrerseits oft auf zusätzliche Finanzierung angewiesen. Und selbst vor der Schule machen Lobbyist/innen keinen Halt und beeinflussen schon Kinder mit Werbebotschaften – so zum Beispiel in Unterrichtsmaterialien oder Schulkooperationen.
5) Der Staat öffnet sich mehr und mehr für Lobbyeinflüsse.
Angesichts vielfältiger und kleinteiliger Versuche der Einflussnahme müssten die demokratischen Institutionen auf Distanz achten und für ausreichende eigene Kapazitäten zur Abwägung unterschiedlicher Argumente und Interessen sorgen. In der Tendenz erleben wir das Gegenteil. Staat und Parteien binden private Akteure und Lobbyist/innen immer enger in Entscheidungsprozesse ein. Wenn politische Entscheidungen in Expertengremien und Kommissionen ausgelagert oder Gesetzestexte gleich vollständig von Anwaltsfirmen geschrieben werden, untergräbt der Staat seine Verantwortung für einen fairen und transparenten Interessenausgleich.
Diese Entwicklungen sind zum einen Ausdruck grundlegender Machtverschiebungen zwischen Markt und Staat, deren strukturelle Ursachen in einer marktorientierten Globalisierung, Liberalisierung und Deregulierung liegen. Zum anderen entsprechen sie einem Staatsverständnis, nach dem Politik als Management betrieben wird und der Staat eher eine moderierende denn eine gestaltende Rolle hat. Triebkräfte dieses Staatsverständnisses wiederum sind diejenigen, die vom Politikoutsourcing profitieren.
6) Zunehmende finanzielle und personelle Verflechtungen gefährden die Unabhängigkeit demokratischer Institutionen und die Ausgewogenheit politischer Entscheidungen.
Seitenwechsel ehemaliger Regierungsmitglieder, lukrative Nebentätigkeiten von Abgeordneten, externe Mitarbeiter/innen in Ministerien oder das Auslagern von Gesetzesformulierungen an private Anwaltskanzleien können zu Interessenkonflikten („Diener zweier Herren“) führen und privilegierte Zugänge für Einzelne schaffen. Politische Entscheidungen werden dann mit einem Seitenblick auf andere Arbeitgeber, Kunden oder Geldgeber getroffen.
7) Die zunehmende Verlagerung vieler wichtiger Entscheidungen nach Brüssel führt zu einem strukturellen Vorteil für starke Lobbyakteure.
Die Ausgestaltung der europäischen Institutionen erschwert gleichberechtigte Zugänge. Zum einen führt der relativ kleine Brüsseler Verwaltungsapparat dazu, dass Kommissionsbeamte oft auf Vorschläge externer „Expert/innen“ zurückgreifen, die häufig eigene Interessen vertreten. Um Lücken in der eigenen fachlichen Kompetenz zu schließen, greift die Kommission auf etwa 800 Beratungsgremien zurück. Viele davon sind unausgewogen besetzt und bieten Lobbygruppen damit die Möglichkeit, bereits sehr frühzeitig auf europäische Gesetze einzuwirken. Hinzu kommt, dass die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten häufig mit Erfolg die Interessen der Wirtschaft ihres Landes in Brüssel vertreten. Der dahinterstehende Lobbyeinfluss ist besonders intransparent. Das schadet dem Ansehen und der Funktionsfähigkeit der EU. Im Europäischen Parlament gibt es keinen wissenschaftlichen Dienst, wie er im Bundestag existiert. Das Fehlen einer klassischen Opposition mit ihrer Kontrollfunktion, eine schwach ausgeprägte europäische Öffentlichkeit sowie mangelnde demokratische Beteiligungsmöglichkeiten erleichtern die Lobbyarbeit außerhalb des Blickfeldes öffentlicher Kontrolle und Kritik.
8) Intransparenz erschwert demokratische Kontrollmöglichkeiten.
Lobbyismus ist in Deutschland weitgehend intransparent. Es gibt keine gesetzlichen Offenlegungspflichten, denen sich Lobbyisten unterwerfen müssen. Schwache Transparenzregeln lassen privilegierte Zugänge und Einflussnahme aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten. Ohne Transparenz schwindet der Raum für Kritik und Protest. Intransparenz verschafft vor allem denen Vorteile, die über informelle Wege – wie etwa gute Kontakte – einen Informationsvorsprung erlangen können. Intransparenz ermöglicht außerdem unlautere Methoden wie die Einrichtung von Tarnorganisationen oder vorgetäuschte Bürgerproteste.
9) Bürgerinnen und Bürger stehen dem Lobbyismus weitaus kritischer gegenüber als ihre Vertreter/innen in den Parlamenten.
Finanzielle Verflechtungen, fliegende Seitenwechsel und intransparente Entscheidungen mit dem Geruch nach einseitiger Einflussnahme – in der Öffentlichkeit wird die zu große Nähe zwischen Politiker/innen und Lobbyist/innen sehr negativ bewertet. Dennoch ist die Bereitschaft für grundlegende Veränderungen auf Seiten der Parteien gering. Dies trägt zum Erstarken rechtspopulistischer Kräfte bei. Sich mit konkreten Schritten für mehr Demokratie und Transparenz zu beschäftigen, ist unbequem und schadet den eigenen Machtinteressen. Affären werden zu Parteiengeplänkel und geraten nach Ende der medialen Aufmerksamkeit schnell wieder in Vergessenheit. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem heutigen Lobbyismus, seinen Methoden und den zugrundeliegenden Machtverschiebungen unterbleibt. Durch diese Folgenlosigkeit bleiben die politischen Rahmenbedingungen für Lobbyismus in Deutschland weit hinter den realen Entwicklungen zurück. Die sich dadurch öffnende Schere gefährdet die Demokratie.
10) Die Demokratie ist in Gefahr – Lobbyregulierung ist eine Zukunftsaufgabe.
Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte weisen in eine gefährliche Richtung. Demokratie droht zu einer leeren Hülle zu werden, in der zwar den formalen Anforderungen an demokratische Entscheidungen entsprochen wird, die Inhalte jedoch abseits davon durch kleine Elitezirkel geprägt werden (Stichwort „Postdemokratie“). Viele Bürger/innen sehen sich nicht mehr von der Politik vertreten. Zudem ist in Deutschland und Europa ein Aufstieg anti-pluralistischer Kräfte zu beobachten. Die Krise der Repräsentation ist dafür nicht die alleinige Ursache, nährt aber diese Kräfte. Sie schaden unserer Demokratie. Deshalb gilt es, der Frustration vieler und der privilegierten Gestaltungsmacht weniger eine lebendige Demokratie entgegenzusetzen, in der die Interessen der Bürger/innen Gehör finden.
Hinweis: Unsere zehn Thesen zum Lobbyismus hatten wir erstmals in unserem Lobbyreport 2013 veröffentlicht.
Weitere Informationen
Zum Weiterlesen: hier können Sie den kompletten Lobbyreport 2017 herunterladen oder bestellen, unsere Bilanz der Lobbyismus-Debatte 2013 bis 2017.
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Unsere „Zehn Thesen“ finden Sie hier auch als pdf zum Herunterladen auf deutsch und auf englisch (LobbyControl_10_Theses_Lobbyism).
In unserem Online-Lexikon Lobbypedia finden Sie eine Einführung in das Thema Lobbyismus.
Foto: geldoderleben, Lizenz: CC BY-SA 2.0
Hier das oben angegebene Interview mit Pörksen. Die oben zitierte Stelle beginnt bei 1:21:20. Das ganze Interview lohnt aber es sich in Ruhe anzuschauen.
Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen – Jung & Live #28
Sonnige Grüße
Klaus Müller
Ja, das alles kennen wir, Geldübergabe in Umschlägen oder Geldkoffern, aber Lobbyismus ist heute weitaus mehr. Lobbyismus höhlt die Demokratie aus… https://energiewende-rocken.org/lobbyismus-arbeitet-heute-ganz-anders-leisepr-lobbycontrol/