Luisa Neubauer und Ulrich Schneider: Das Märchen vom unsozialen Klimaschutz und Anmerkungen von Hermann Scheer 2

Luisa, Ulrich und Hermann

Last Updated 30. September 2022

Viel zu kurz gesprungen, liebe Frau Neubauer und Herr Schneider, würde Hermann Scheer heute sagen.

Luisa Neubauer und Ulrich Schneider: Das Märchen vom unsozialen Klimaschutz und Anmerkungen von Hermann Scheer.

Ja, es gibt einen bemerkenswerten Beitrag von Luise Neubauer (FFF) und Ulrich Schneider (Paritätischer Wohlfahrtsverband) als Gastbeitrag im Spiegel. Ich zitiere am Anfang gleich den letzten Absatz, denn hier würde Hermann ansetzen: „Das Märchen vom Widerspruch zwischen sozialer Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit nützt wenigen und schadet vielen. Also gehen wir gemeinsam für soziale Sicherheit und Klimagerechtigkeit auf die Straße und geben der Regierung ein deutliches Zeichen, dass wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen“. Dazu kommen wir dann aber am Schluss.

Die Situation sieht, gelinde gesagt, katastrophal aus, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Warum? „Ausgerechnet eine von Sozialdemokraten und Grünen angeführte Regierung bleibt bei der Verbindung von Ökologie und Gerechtigkeit unter ihren Möglichkeiten“.

„Jede Krise ist eine Chance? Schön wär’s“, schreiben Neubauer und Schneider: „Coronapandemie, Klimakrise, Energiekrise, wachsende Armut; die Krisen überschlagen sich, ein Ende ist nicht in Sicht. Menschen werden von Sorgen erdrückt.
»Wie soll ich meine Heizrechnung noch bezahlen?«, fragen sich die einen. »Muss ich meinen Betrieb aufgeben?«, die anderen. Und man fragt sich, was denn noch kommen soll. Zwar will die Bundesregierung Menschen finanziell entlasten. Das passiert allerdings nicht umfassend und zielgerichtet genug.
Während die Klimakrise in der öffentlichen Wahrnehmung gerade eine Art Pause macht, dreht sie in Wahrheit auf: Zuletzt verloren 30 Millionen Menschen in Pakistan durch Fluten ihr Zuhause, Europa erlebte im Sommer historische Dürren, der Rhein trocknete aus, in Brandenburg zwangen Waldbrände Ortschaften zur Evakuierung. Das alles in einer 1,2 Grad heißeren Welt. In wenigen Generationen könnte die Welt bei plus drei Grad Erhitzung angekommen sein“.

Und dieser Zustandsbeschreibung lässt sich sicher noch viel mehr hinzufügen, was die beiden im Artikel auch machen, es lohnt also den Artikel zu lesen. Aber das Dilemma ist groß. Während wir in vielen Gebieten einfach schon die Bergklippen inzwischen runterrasen, wird immer noch diskutiert und lamentiert und es werden ständig Gründe genannt, die jetzt wichtiger sind, es wird aber auch versucht Dinge abzumildern und zu lösen – zumindest bemüht man sich es zu tun, oder es so aussehen zu lassen.

Zitat aus dem Artikel:
Wer einen den Umständen entsprechenden radikalen Klimaschutz einfordert, dem wird erklärt, dass man sich erst um die aktuellen Entlastungen kümmern müsse. Keine Zeit für Klimaschutz. Man drückt sich natürlich anders aus, man sagt: »Wir machen doch schon«. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Zuletzt wurde eine Überprüfung der Klimaschutzbemühungen im Verkehrssektor abgebrochen, weil es vor lauter Stillstand nicht genug zu prüfen gab. Wer wiederum feststellt, dass die Entlastungen nicht annähernd reichen, um der Not der Menschen gerecht zu werden, dem wird eine Gratismentalität vorgeworfen.

Von der Vision einer solidarischen Gesellschaft, die sich der Klimakrise entgegenstellt und soziale Sicherheit schafft, entfernen wir uns immer weiter. Ausgerechnet eine von Sozialdemokraten und Grünen angeführte Regierung bleibt bei Klima und sozialer Gerechtigkeit deutlich unter ihren Möglichkeiten.

All das wird begleitet von den Märchen derjenigen, die weder an sozialem Ausgleich noch an Klimaschutz interessiert sind. Sie haben es geschafft, ein »oder« zwischen »Klima« und »Soziales« zu setzen. Klimaschutz wird als unsozial und zu teuer dargestellt, Armut wiederum als Naturgesetz. Mit diesem »oder« erklären politische Kräfte, man müsse sich zwischen sozialem Ausgleich und Klimaschutz entscheiden, beides zusammen gehe nicht, schon gar nicht jetzt.

Und hier muss ich abkürzen, denn die beiden zählen noch einige Dinge auf und diskutieren Lösungen einfach nicht an und bleiben im Unklaren. Wir lesen dann aber:

Aber es ginge auch anders. Man stelle sich vor, es würde eine andere Geschichte erzählt von einer Gesellschaft, die versucht, aus den Krisen herauszukommen, sozial gerecht und ökologisch nachhaltig. Das wäre kein Märchen, denn es ist möglich.

Ja, und da würde Hermann Scheer sehr langsam und behutsam anfangen und den beiden zustimmen und sagen, das ist nicht nur möglich, es macht sogar, wenn wir’s richtig anpacken, unglaublich viel Spaß, und zwar allen. Wir müssen die eigentliche Lösung nur erklären. … Die Frage ist lang nicht eine des Geldes, dass nicht nur die beiden, sondern auch viele andere zur Förderung der Energiewende einfordern. Geld ist aber massenhaft vorhanden, man müsste es nicht mal den Reichen abnehmen. Die Frage ist eine andere, es ist die Darstellung der Energiewende durch die Politik und durch die Medien, denn auch Journalisten wissen es nicht (mit ganz wenigen Ausnahmen). Keiner hat Hermann Scheer gelesen oder verstanden. Man hat nie richtig zugehört.

Hermann Scheer sagte in seinem letzten Buch, „Der Energethische Imperativ“, folgendes:

„Der Wechsel zu hundert Prozent erneuerbaren Energien bedeutet den umfassendsten wirtschaftlichen Strukturwandel seit dem Beginn des Industriezeitalters. Ein Strukturwandel ohne Verlierer und Gewinner ist undenkbar. Verlierer werden unweigerlich die Anbieter der konventionellen Energien sein – in welchem Ausmaß das der Fall ist, hängt von ihrer Fähigkeit ab, sich an Haupt und Gliedern umzustrukturieren, sich mit drastisch sinkenden Marktanteilen abzufinden und neue Tätigkeitsfelder für sich zu finden, die KEINE ENERGIEWIRTSCHAFTLICHEN mehr sein werden.
Versuche der Verliererrolle in diesem Wandlungsprozess zu entkommen und ihre zentrale energiewirtschaftliche Rolle zu behalten, führen zu widersprüchlichen und teuren Verlangsamungsstrategien.
Die Gewinner des Wechsels werden die Weltzivilisation insgesamt und Gesellschaften und Volkswirtschaften sein, und in diesen die Technologieunternehmen sowie viele lokale und regionale Unternehmen. Es wird auf jeden Fall entschieden mehr Gewinner des Energiewechsels als Verlierer geben. Einem großen Teil der Gewinner sind die Chancen noch nicht bewusst, weshalb sie noch auf der Gegenseite stehen. Den größten Einfluss auf das praktische Geschehen haben derzeit noch die etablierten potenziellen Verlierer, den geringeren die noch längst nicht etablierten Gewinner“.

(Energethisch ist übrigens eine Wortschöpfung von Hermann. Das „h“ in der Mitte deutet auf das Wort Ethik hin, denn die Energiewende beinhaltet die ganzen sozialen Komponenten, wenn man sie richtig anpackt).

Dem kann man nun wirklich nichts mehr hinzufügen, und ich empfehle allen sich das Buch von Hermann Scheer zu kaufen.

Zu den teuren Verlangsamungsstrategien habe ich in meinem Blog einiges zusammengetragen. Einer der Punkte, die uns bisher sehr viel Geld gekostet haben, ist das #eegParadoxon. Wir dachten alle, mit der EEG-Umlage würden wir die Energiewende fördern. Seit 2010 ist das leider nicht geschehen. Das Gegenteil war eher der Fall, denn die EEG-Umlage stieg und dennoch wurde für die Energiewende viel weniger Geld ausgegeben als alle glaubten. Richtig dumm war, dass dann sogar unaufgeklärte anfingen über das Beispiel mit der Eiskugel, mit dem Jürgen Trittin die Kosten der Energiewende (also der EEG-Umlage) beschrieb, zum Anlass nahmen, Trittin und die Grünen für ahnungslose Spinner zu halten.

Enttäuschenderweise muss man sagen, mit Sicherheit hat nur ein sehr geringer Teil der Grünen, das eegParadoxon wahrgenommen und verstanden. Und ebenso haben sie die Energiewende im Sinne von Hermann Scheer nicht verstanden. Ich glaube sogar, es täte Robert Habeck gut, sich mal ein Wochenende mit Hermann Scheer zu beschäftigen. Gehört hat er von dem Mann sicherlich, so wie es auch viele Leute von der SPD von sich behaupten und immer als Leitspruch vor sich hertragen. Und ich will jetzt nicht unverschämt sein, aber ich glaube, mit all den strategischen Überlegungen vor der Wahl, hat seine Tochter bewiesen, dass sie ihren Vater nie richtig verstanden hat. Das gilt auch für einen ehemaligen Mitarbeiter, den ich namentlich nicht nennen will, der aber eigentlich einen sehr wichtigen Posten bekleidet.

Und um das, was Hermann oben sagte in einem Satz zusammenzufassen: Die Energiewende macht Spaß für alle – wenn wir sie richtig verstehen; nur einige sehr wenige werden möglicherweise sehr viel Geld verlieren, das sollte uns aber nicht kümmer, sie haben genug Geld, oder werden sich rechtzeitig umentscheiden.

Sonnige Grüße trotz der schweren Lage

Euer Klaus Müller
Energiewende-Rocken


Quellen:

Der Artikel im Spiegel: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/luisa-neubauer-und-ulrich-schneider-das-maerchen-vom-unsozialen-klimaschutz-gastbeitrag-a-cab15eb9-ca7c-494d-9434-6cdf8020610c

#eegParadoxon https://energiewende-rocken.org/der-erfundene-suendenbock/

Jürgen Trittin und die Eiskugel https://energiewende-rocken.org/neoliberale-trickserei-um-trittins-kugel-eis/

 


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2 Gedanken zu “Luisa Neubauer und Ulrich Schneider: Das Märchen vom unsozialen Klimaschutz und Anmerkungen von Hermann Scheer