Erfolg oder Misserfolg des EEG- eine persönliche Einordnung – Claudia Kemfert 1

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Last Updated 12. März 2020

Gastbeitrag Prof. Claudia Kemfert

Erfolg oder Misserfolg des EEG- eine persönliche Einordnung

Am 1. April feiern wir 20 Jahre EEG. Das Jubiläum des Erneuerbare-Energie-Gesetzes ist für mich auch ein persönliches. Vor 20 Jahren übernahm ich an der Universität Oldenburg als Professorin die Leitung einer Forscher-Nachwuchsgruppe im Feld der Energie-Ökonomie. Vier Jahre später wechselte ich ans Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nach Berlin, wo ich mein über etwa 20 -köpfiges Team der Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ leite.

20 Jahre EEG – es lohnt sich Bilanz zu ziehen, die – das sei vorweggenommen – unterm Strich positiv ausfällt. Das EEG gilt in aller Welt als Erfolgsmodell – nur nicht in Deutschland. Der Prophet im eigenen Lande…?

Einer der Väter des EEG und Verfechter der Energiewende hin zu einer dezentralen erneuerbaren Energien-Welt war der 2010 verstorbene SPD-Politiker Hermann Scheer. Als Mitglied des SPD-Bundesvorstandes von 1993 bis 2009 beeinflusste er die Umwelt- und Energiepolitik der SPD maßgeblich. Es ist nahezu 20 Jahre her, dass ich ihn das erste Mal traf.

Im Rahmen von großen Forschungsprojekten beschäftigte ich mich als damals noch junge Professorin für Umweltökonomie und Nachhaltigkeit wissenschaftlich mit den Energie- und Strommärkten. Fachlich verfügte ich bereits über eine fundierte Einschätzung zu den Chancen der erneuerbaren Energien und den notwendigen Umbau des Energiesystems. Doch der Austausch mit einem gestandenen Bundespolitiker war für mich neu und hoch interessant.

Im Laufe der Jahre habe ich Hermann Scheer oft getroffen und wir haben hitzig diskutiert. An langen Abenden erzählte er mir allerdings auch immer wieder Geschichten über massive politische Kämpfe und sogar von persönlichen Attacken bis hin zu massiven Drohungen gegen ihn als Person. Ich erinnere mich gut, dass ich seine Erzählungen damals spannend fand, aber doch für „James-Bond-Geschichten“ hielt. Ich tat sie als eine Art politisches Jäger-Latein ab.

20 Jahre später muss ich mich korrigieren: Hermann Scheer kannte die Wirklichkeit. Jetzt kenne ich sie auch.

Seit mehr als 15 Jahren forschen wir am DIW zu volkswirtschaftlichen Wirkungen des Klimaschutzes, dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Umbau hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. In den letzten vier Jahren kamen die Forschungen im Rahmen des Sachverständigenrats für Umweltfragen hinzu. Aus all diesen Studien lässt sich eindeutig sagen:
Kohlekraftwerke verursachen hohe Mengen an klimaschädlichen Treibhausgasen. Der Klimawandel führt zu immer häufiger auftretenden extremen Klimaereignissen, die wiederum Klimaschäden verursachen. Der Kohle-Abbau verursacht Umwelt-, die Kohle-Verbrennung Klimaschäden. Atomkraftwerke sind nicht wettbewerbsfähig, sie verursachen enorme Kosten. Der volkswirtschaftliche Nutzen einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ist groß, wenn Kosten durch fossile und atomare Energien eingerechnet werden. Investitionen in Zukunftstechnologien schaffen wirtschaftliche Chancen. Die Kosten des Handelns sind geringer als die Kosten des Nicht-Handelns. Klimaschutz erfordert rasches Handeln.

Und auch in Bezug auf das EEG lassen sich wissenschaftlich eindeutige Aussagen festhalten: Seit der Einführung des EEGs sind die Kosten erneuerbarer Energien enorm gesunken. Sie sind mittlerweile weitaus preiswerter als konventionelle Energien. Das EEG-Ziel, erneuerbaren Energien den Markteintritt zu ermöglichen, wurde durch das – offenbar klug entwickelte – effektive Instrument samt Anpassungen der Rahmenbedingungen erfolgreich umgesetzt. Das EEG hat die erneuerbaren Energien in den Markt gebracht.

Kurz: Das EEG war bei allen Höhen und Tiefen unterm Strich ein Erfolg. Doch seit der Einführung wird es auch bekämpft. Massiv bekämpft. Durch Kampagnen, finanziert von eben jenen Kräften, von denen Hermann Scheer schon berichtete. Es sind diejenigen, die durch die Veränderungen Nachteile fürchten müssen. Wissenschaftliche Studien und journalistische Recherchen belegen den Zusammenhang von Kampagnen, Kritik und ökonomischen Interessen immer ausführlicher und eindrucksvoll.

Die Wissenschaft ist sich einig, dass der Klimawandel gestoppt werden kann und rasches Handeln hin zu einer vollständigen Dekarbonisierung der Wirtschaft realistisch ist. Das ist Konsens. Der wissenschaftliche Diskurs konzentriert sich deswegen auf die Bewertung der möglichen klimapolitischen Instrumente: Was ist der beste Weg zu mehr Klimaschutz? Regelt der Markt das allein, wenn man nur die richtigen Rahmenbedingungen setzt? Oder ist eine direkte Förderung von neuen Technologien wie erneuerbare Energien oder Elektromobilität notwendig? Hier gibt es Dissens.

Diejenigen, die in erster Linie ausschließlich auf sogenannte „Marktinstrumente“ setzen, lehnen die direkte Förderung neuer Technologien ab und befürworten einen alles umfassenden Emissionsrechtehandel. Alles andere verzerre den Markt und verursache unnötig hohe Kosten.
Das klingt in der Theorie gut. Doch in der politischen Praxis ist es kaum möglich, ein derart komplexes Instrument einzuführen, und zwar gemäß der reinen Lehre dergestalt, dass sich über alle Sektoren keinerlei Verzerrung ergäben. Aber noch schwerer wiegt, dass der Emissionshandel im radikal freien Markt sehr hohe C02-Preise nach sich ziehen würde. Denn es entstünden infolge der notwendig hohen Emissionsminderungsziele entsprechend hohe Emissionsvermeidungskosten. Und das wäre politisch kaum durchsetzbar.

Die aktuellen Diskussionen zur Einführung eines CO2-Preises zeigen ja, wie schwer nur kleinste Preiserhöhungen politisch durchsetzbar sind. Deswegen wird dann früher oder später justierend eingegriffen, und das Kernargument für den Emissionshandel löst sich in Luft auf: Der Markt regelt es eben nicht von allein. Übrigens: All die vielen umweltschädlichen Subventionen, ob Dieselprivileg oder Pendlerpauschale, müssten von den Emissionshandel- und Markt-Apologeten ebenfalls strikt abgelehnt werden; doch diese Art von staatlicher Förderung steht überraschend selten in der Kritik.

Dabei macht es nicht nur klimapolitisch durchaus Sinn, fossile Subventionen zu streichen und erneuerbare Energie oder Elektromobilität bis zur Marktreife zu fördern. Es ist auch volkswirtschaftlich von Nutzen, nämlich aufgrund von Investitionen, Wertschöpfungen, Innovationen, neuen Arbeitsplätzen und nicht zuletzt, indem wir die wachsenden Kosten infolge des alten Energiesystems vermeiden.
Diese Diskussionen führe ich seit über 15 Jahren auf unzähligen Konferenzen, Workshops, Tagungen und auch in öffentlichen Podiumsdiskussionen. Wissenschaft lebt vom Diskurs. Vom lebendigen Diskurs. Was ich allerdings ebenso erlebe, und dies habe ich in zwei Büchern „Kampf um Strom“ (2013) und „Das fossile Imperium schlägt zurück“ (2017) aufgearbeitet, sind Attacken, die zum Ziel haben, die Energiewende scheitern zu lassen. In jeweils zehn Kapiteln habe ich darin alle gängigen Mythen – von angeblichen Kosten-Tsunamis durch erneuerbare Energien bis hin zur sozialen Verelendung – entlarvt und wissenschaftlich eingeordnet.

Es werden Ängste geschürt, Mythen und Fehlinformationen verbreitet. Auch vor persönlichen Diffamierungen wird nicht zurückgeschreckt, genauso wie Hermann Scheer es berichtet hat.

Wenn sich nunmehr manche Wissenschaftler aggressiv polemisierend von der Sachebene entfernen, indem sie einen laiengerecht formulierten Gastkommentar aus Anlass einer Talkshow-Debatte mit dreimonatiger Verzögerung zum Anlass nehmen, um meine wissenschaftliche Arbeit grundsätzlich zu kritisieren – dann ist das nicht neu. Neu ist allerdings das unterirdische Niveau.

Der dabei angeschlagene Tonfall ist inakzeptabel und der ganze Vorgang unredlich. Das Handelsblatt benötigte vier Ökonomen und einen fünften Anonymus, nicht etwa um sich mit meinen konkreten wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen, sondern um mich als Person in Frage zu stellen – ohne jedes Sachargument und obendrein ohne mir die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Grundlagen professioneller Berichterstattung wurden schlichtweg ignoriert. Die Empörung zahlreicher Wissenschaftler und Journalisten war auch in den sozialen Medien deswegen zu Recht und dankenswerterweise groß. Dass die FAZ kurz darauf behauptete, ich hätte die anderen Wissenschaftler persönlich attackiert, ist klassische Täter-Opfer-Umkehr und der altgedienten Zeitung nicht würdig.

Ich stelle mich mit meinen Studien und Publikationen zu Energie-Themen permanent dem wissenschaftlichen Fachdiskurs. Auf der Sachebene. Ohne persönliche Diffamierungen. Es gibt ausgezeichnete Fachkolleginnen und -kollegen, mit denen dieser Diskurs hervorragend gelingt und mit denen ich mich gern auch kontrovers austausche. In unseren jüngsten Studien belegen wir die hohen Kosten von Kohle und Atom und die im Vergleich dazu geringen Kosten einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. Wer daran Kritik üben möchte, der ist eingeladen, sich im üblichen seriösen Rahmen wissenschaftlicher Fachmedien einzubringen. Wir können dann gern auch auf allgemeinverständlicher Ebene den Disput für die breite Öffentlichkeit transparent machen.
Mir ist klar, dass es bei alledem nicht vornehmlich um mich als Person geht, sondern um die wissenschaftlichen Positionen, die ich vertrete und mit denen ich das interessengeprägte, öffentliche Narrativ von vermeintlich billiger fossiler Versorgungssicherheit „störe“. Innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin Volkswirtschaft werden wir in den nächsten Jahren sicher engagiert über den Disput zwischen althergebrachter Marktökonomie und jungen Konzepten der Gemeinwohl-Ökonomie oder der Kreislaufwirtschaft diskutieren. Doch was die praktische Politik angeht, können wir in Deutschland stolz auf die Erfahrung der letzten zwei Jahrzehnte blicken: Die Energiewende ist erfolgreich – auch und gerade aufgrund des EEG!

Die Welt da draußen ist deutlich weiter, als manche Kollegen es in ihren Elfenbeintürmen wahrhaben wollen. Die erneuerbaren Energien sind nicht mehr aufzuhalten. Genauso wie der Klimaschutz, welcher von Millionen junger Menschen eingefordert wird. Die Jugend hat recht. Die Fridays for Future mahnt zu Recht schnelle Lösungen an. Die es auch gibt. Es gibt so viele Menschen, Städte und Regionen in ganz Deutschland, aber auch schon weltweit, die gemeinschaftliche Lösungen umsetzen. Gemeinschaftlich. Lösungsorientiert. Fair. Ausgewogen. Und ohne Hass. Wir sollten uns den Spaß nicht verderben lassen. Hermann Scheer wäre glücklich. Wir sollten es auch sein.


Bildquellen:
Hermann Scheer – Euro-Solar
Claudia Kemfert – facebook.com/das.salonfestival


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