Last Updated 5. Februar 2020
Unser heutiger Gastartikel, “was machen eigentlich die fossilen Konzerne?“, beleuchtet einen Aspekt der fossilen Konzerne der weitgehend unbeachtet ist: Schulden über Schulden
Gastartikel von Hans-Josef Fell. 5.2.2020
Liebe Leserinnen und Leser,
Die Fossile Energiewirtschaft in der Krise – Kommt bald der große Crash?
Die Forderungen nach dem Kohleausstieg haben die Ausstiegsforderungen der genauso klimaschädlichen Energieträger Erdöl und Erdgas in den Hintergrund gedrängt. Noch immer gelten sie vielfach als unverzichtbar – Erdgas sogar fälschlicherweise als sinnvolle Zwischenlösung für die Energiewende. Zudem erscheinen sie sehr profitabel, denn schließlich machen Öl- und Erdgaskonzerne doch Milliardenumsätze, oder?
Doch auch hier knirscht es gewaltig, wenn man nur ein bisschen genauer hinhört. Die Erdgas- und Ölbranche ächzt unter immensen Schulden und gleichzeitig fallen die Marktpreise für Öl und Gas. Dies wiederum lässt die Schulden nur noch höher wachsen. Etliche Firmen gehen bankrott. Nun ist die Krise der fossilen Rohstoffe an sich ein natürliches und aus Klimaschutzsicht auch ein wünschenswertes Phänomen, jedoch ist davon auszugehen, dass ein größerer Crash auch auf die restliche Wirtschaft übergreifen würde. Wie groß ist dieses Risiko und wie schlimm ist es um die Öl- und Gaskonzerne wirklich bestellt?
Für die Unternehmen selber ist es dramatisch – besonders beim Erdgas. Der einstige Boom beim Schiefergas hat einen Preisverfall ausgelöst, der immer mehr Unternehmen in Bedrängnis bringt. Vor allem die USA und Kanada produzieren so viel Fracking-Gas, dass die Konsumenten in China und Europa gar nicht genug kaufen können, um den Preis stabil zu halten. 2020 fiel er auf 1,9 US-Dollar pro MMbtu (million British thermal units, Mengeneinheit für Erdgas), verglichen mit 2,6 in 2019 und 3,1 in 2018 – eine Katastrophe für die Produzenten, deren Profite nun weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. Weil sich so etliche Investitionen als wertlos erwiesen haben (“stranded assets”) sind 2018 28 Firmen und 2019 ganze 42 Firmen im Geschäft mit Schiefergas bankrott gegangen. Und das bei höheren Preisen als heute.
Bisher trifft es zwar vornehmlich kleinere Unternehmen, denen der Preisverfall am meisten zusetzt, doch bei den aktuellen Rohstoffpreisen wackeln auch die besser diversifizierten Großkonzerne. Shell, Chevron, BP, Repsol und Equinor mussten allesamt Milliarden von Dollar abschreiben, weil neben dem Gaspreis auch der für Öl massiv einbricht. Shell zum Beispiel braucht Ölpreise von 65 US-Dollar, um genug Geld zu verdienen, doch momentan liegt das Barrel bei knapp über 50. Der Markt ist auch hier übersättigt und die schwächelnde Weltwirtschaft ist eine zusätzliche Belastung. Das heißt für Unternehmen: die Einnahmen aus dem Kerngeschäft sinken oder stagnieren. Doch gerade diese ungebundenen Einnahmen brauchen die Firmen – um ihre Investor*innen zufriedenzustellen und Schulden abzuzahlen.
Besonders Schulden sind ein brisantes Thema, denn sie sind gewissermaßen die Sollbruchstelle vieler Öl- und vor allem Erdgasfirmen. Alle Unternehmen, die sich am Schiefergas-Boom beteiligt haben, mussten dort massiv investieren. Deshalb gehen sie nun bei fallenden Preisen reihenweise pleite und hinterlassen dabei hohe Schulden: 26 Milliarden US-Dollar allein in 2019. Doch auch die Ölriesen haben Schulden angehäuft. Exxon beispielsweise hatte 2005 noch übersichtliche 5 Milliarden, 2018 jedoch schon über 20 Milliarden US-Dollar Schulden – und nahm 2019 über 5 Milliarden neu auf. Während also die Profite einbrechen, steigen die Verbindlichkeiten und das wirft die Frage auf, wie man die über 100 Milliarden Rückzahlungen stemmen will, die in den nächsten Jahren fällig werden. Mit neuen Schulden am Kapitalmarkt? Oder Zuwachs an den Aktienmärkten? Beides wird immer schwieriger.
Auf dem Geldmarkt sind angesichts der vielen Pleiten bei Gasfirmen, einige der noch im Markt aktiven Konzerne bereits auf Ramschniveau gelistet und oder nähern sich diesem an. Zuletzt verschlimmerte die drohende Zahlungsunfähigkeit von Chesapeake Energy, dem ehemaligen Schiefergas-Pionier, die Lage erneut. Und auch auf dem Aktienmarkt sieht es düster aus. Immer mehr institutionelle Aktionäre ziehen sich komplett aus Erdgasfirmen zurück, da die negativen Schlagzeilen, vor allem über weitere Abschreibungen und sinkende Einnahmen, überhand nehmen. Doch nicht nur Erdgas, sondern auch die anderen fossilen Energien verlieren am Aktienmarkt an Boden – und das seit Jahren. In den letzten zehn Jahren haben die Energieriesen im wichtigen S&P 500-Index die geringsten Kurszuwächse verzeichnet, und gehörten somit zu den schlechtesten Aktien auf dem US-Markt. Wie kommt es dann, dass Öl- und Gasfirmen überhaupt noch Investor*innen finden?
Prinzipiell gibt es zwei Arten, um seine Investor*innen zufriedenzustellen: Dividendenauszahlungen und Aktienrückkäufe durch das Unternehmen. Beides wurde weiterhin betrieben, obwohl die Finanzlage der Firmen dies eigentlich nicht zuließ. So haben die großen fünf Öl- und Gaskonzerne ExxonMobil, BP, Chevron, Total und Shell seit 2010 insgesamt 536 Milliarden Dollar an die Investor*innen ausgezahlt, aber nur 329 Milliarden im Kerngeschäft eingenommen. Der Rest wurde teils mit Krediten, teils aber auch mit Verkäufen von Firmenvermögen finanziert. Shell zum Beispiel verkaufte in diesem Zeitraum Vermögenswerte für 68 Milliarden Dollar – und musste trotzdem seine geplanten Aktienrückkäufe verschieben. Genauso Exxon Mobile, das seit 2015 76 Milliarden mehr an seine Aktionäre ausschüttete als es mit dem Kerngeschäft einnahm, seine Aktienrückkäufe jetzt aber doch einstellen musste. Um die Investor*innen in Zukunft wieder zu belohnen, werden auch dort in den nächsten fünf Jahren Vermögenswerte von 25 Milliarden verkauft.
All dies zeigt: die Öl- und Erdgasbranche steckt ganz tief in der Krise und hofft, dass es keiner bemerkt. Seit Jahren schaffen es die Produzenten von Erdgas nicht mehr Gewinne abzuwerfen und in der Ölbranche gibt man wesentlich mehr an seine Investor*innen aus als man einnimmt. Alles zusammen genommen ergibt sich ein Bild von einem sich anbahnenden Crash der fossilen Rohstofffirmen und damit einem Finanzcrash des Weltwirtschaftssystems, den nun jeder mittelgroße Schock auslösen könnte. Ein möglicher und auch durchaus wünschenswerter Schock wäre zum Beispiel eine härtere Klimapolitik von staatlicher Seite oder ein schneller Ausbau der E-Mobilität. Nach Analysen von Carbon Tracker könnte eine Verschärfung der Umweltpolitik den Wert von Investitionen in fossile Brennstoffe in kürzester Zeit halbieren und so die Öl- und Erdgasriesen ins Chaos stürzen.
Doch aktuell zeichnet sich bereits ein weitaus unangenehmerer Schock ab: der des Coronavirus. Abgesehen von den vielen tragischen Todesfällen, beginnt der Virus auch Teile der Wirtschaft lahmzulegen und die Ölnachfrage vor allem in China deutlich zu verringern (20%). Ganze Städte werden dort abgeschottet, Flüge werden gestrichen und die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt verlangsamt sich. Resultat: Der Ölmarkt wird – zum vierten Mal seit 2017 – zum Bärenmarkt (große Preisverfälle). So ist der Ölpreis schon unter 55 US-Dollar gesunken und bewegt sich weiter nur bergab. Dies zeigt wie anfällig die Preise für fossile Rohstoffe und insbesondere für Öl zuletzt geworden sind. Egal was es ist – ein Eingreifen der Politik, ein Virus, oder auch politische Spannungen (Iran – USA) – sie alle können den Markt jederzeit destabilisieren.
Nun sind ein krisenanfälliger Ölmarkt und die Probleme der fossilen Energien für den Klimaschutz eine gute Nachricht. Doch steht zu befürchten, dass ein größerer Crash von Energieunternehmen auch die restliche Weltwirtschaft in eine Krise stürzen könnte, besonders angesichts der immensen Schulden, die diese Firmen in den letzten Jahren angehäuft haben. Schließlich begann auch die letzte Finanz- und Bankenkrise mit einer geplatzten Blase und hohen Schulden von Hauseigentümer*innen und Banken, wie Lehman Brothers. Doch seither haben Banken offenbar weiter Kredite an unsichere Branchen wie die fossile Energiewirtschaft vergeben.
Dies war auch deshalb so lukrativ, weil die Zinsen in den USA und Europa seit der letzten Krise sehr niedrig waren. Die Banken mussten sehr viel Geld verleihen und das erklärt warum einige Öl- und Erdgasunternehmen weiterhin Geld erhielten, obwohl sie schon da in massiven Schwierigkeiten steckten. Daher haben sich, gerade im Bereich fossile Energie, einige “Zombie-Firmen” auf dem Markt halten können, die unter normalen Voraussetzungen schon längst Pleite gegangen wären. Diese Firmen haben sich stattdessen weiter mit Schulden vollgesogen und erhöhen somit das Risiko für eine weltweite Wirtschaftskrise sobald es zu einem Schock käme.
Für uns alle bedeutet dies, dass wir, ohne es je gewollt zu haben, mit der fossilen Energiewirtschaft in einem Boot sitzen. Und dieses Boot wackelt sehr stark (Preisschwankungen), hat einiges an Senkblei an Bord (Schulden und sogenannte “stranded assets”) und gleichzeitig scheint ein Sturm aufzuziehen (Viren, gewaltsame Konflikte, etc.).
Das alles wäre natürlich vermeidbar gewesen, wenn man schon viel früher konsequent auf Erneuerbare Energien gesetzt hätte. Doch, dass die Bundesregierung und die EU Kommission den Ausbau der Erneuerbaren Energien aktuell massiv dezimiert hat, ist nicht nur klimapolitisch, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht grob fahrlässig. So setzen beide weiter auf Erdöl und Erdgas, sogar mit Subventionen im Heizungsmarkt, für neue Pipelines und Erdgaskraftwerke und stützen weiter die SUV-Politik der Autokonzerne.
Allen Energiekunden kann man nur raten, jetzt noch schnell auf Erneuerbare Energien umzusteigen, denn wenn die großen Öl- und Erdgaskonzerne wegen Konkurs nicht mehr liefern können, wird es zu spät sein.
Kiev, 05. Februar 2020
Ihr Hans-Josef Fell