Last Updated 17. Februar 2022
Nachrichten sind mir wichtig und ich gehe davon aus, dass sie wahr sind.
Mir kommt es immer so vor, als wenn gerade diejenigen, die in Physik nicht aufgepasst haben und dennoch vieles bewirken, sehr viele und bedeutende Aussagen darüber machen (können) ohne, dass sie jemand rüffelt und sie schleunigst kündigt. Gemeint ist der Journalismus, der in diesem Fall sehr klar Desinformationen liefert und es gibt in dem Fall keine eigene Kontrollinstanz, die da eingreift.
Die Frage steht im Raum, müssen wir in Deutschland Atomstrom dazukaufen, um unseren eigenen Strombedarf zu decken? Zumindest hat man den Eindruck, nachdem man das ZDF-Journal im ZDF gesehen hat. Es bleibt keine andere Schlussfolgerung möglich. Und jetzt schon der Spoiler: Nein, das müssen wir nicht und das seit langem nicht. Die Aussagen um die es geht heißen genau: “Deutschland benötigt zugekauften Atomstrom aus Frankreich noch zur Überbrückung” und “Deutschland hält dagegen am Atomausstieg fest, und importiert zugleich Kernkraft eben aus Frankreich”.
Wenn Fakten nicht so wichtig sind…
Es geht also um die gestrige Sendung des ZDF-heute-Journal vom 10.02.2022. Im Speziellen geht es um Frank Bethmann, Fernsehjournalist und Moderator. Er moderiert für die ZDF-Börsenredaktion. Es geht aber ebenso um Gundula Gause und Christian Sievers, Chefredakteur im heute-Journal.
Originalton Christian Sievers: “… in Sachen Energiepolitik kommen gewaltige Nachrichten aus Frankreich, die einzuordnen sind angesichts der Tatsache, dass Deutschland einen anderen Weg geht”. Und Gundula Gause weiter: “Auch Frankreich plant den Ausbau erneuerbarer Energien. Bis 2050 will Präsident Marcron dutzende Windparks vor der französischen Küste bauen lassen und strebt eine Verdoppelung der erneuerbaren Energien an. Zugleich aber kündigte Marcron beim Besuch eines Energiekonzerns eine Renaissance der Kernkraft in Frankreich an. Bis 2050 will Marcron sechs moderne Reaktoren bauen und acht weitere prüfen lassen. Die Kernkraft sei für ihn unverzichtbarer Baustein der Energiewende. Deutschland hält dagegen am Atomausstieg fest, und importiert zugleich Kernkraft eben aus Frankreich”.
Und damit gibt sie dann an den dritten Mitspieler weiter, dem Spezi der ZDF-Börsenredaktion, Frank Bethmann, der uns das ganze dann mit seiner Expertise bestätigt. Und nun Bethmann wörtlich: “Ja, das wird auch erstmal so bleiben. Bei der Energiewende trennen beide Staaten Welten…”. Soweit kann man gegen diese Nachrichten ohne ein spezielles Hintergrundwissen wenig sagen. Aber nun hilft ja Herr Bethmann weiter: “Deutschland benötigt zugekauften Atomstrom aus Frankreich noch zur Überbrückung”. Und diese Behauptung ist schlichtweg falsch und man müsste sie sogar Lüge nennen, denn sie folgt einem Framing, dazu unten gleich mehr, aber erst einmal weiter im Text von Bethmann: “Für die Franzosen ist die Kernkraft viel mehr als nur eine Brücke, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, mit hunderttausenden von Arbeitsplätzen und entsprechende Investitionen gelten neuerdings, so vereinbarte es jüngst sogar die EU als klimafreundlich. Da passt, dass der vom französischen Staat dominierte Versorger EDF heute bekannt gab, einen Teil des Kernenergiegeschäftes des US-Konzerns General Elektrik übernehmen zu wollen. Auf rund eine Milliarde Dollar wird der Wert des Deals geschätzt”.
Den Beitrag kann man sich hier anschauen, das Video beginnt bereits mit der betreffenden Szene.
Leser meines Blogs und ebenso die Wissenschaft, sowie auch die Stromkonzerne in Deutschland wissen aber, die Behauptung, Deutschland würde Atomstrom aus Frankreich benötigen, um die Lücken der Energiewende zu füllen ist falsch, und das seit fast einem Jahrzehnt. Herr Bethman saugt sich da etwas aus den Fingern, das nicht haltbar ist. Umgedreht wird ein Schuh draus. Zum einen exportiert Deutschland seit Jahren Strom vor allem auch nach Frankreich und ist auf jeden Fall Europameister im Stromexport, und zwar fast rund um die Uhr. Zum anderen aber schwächelt Frankreich seit Jahren mit seinen alten und störanfälligen Atommeilern und wäre ohne die Hilfe von deutschem Strom kaum in der Lage sich selbst zu versorgen. Vor allem im Winter, wenn es wirklich kalt ist, ist Frankreich vollkommen verloren ohne Stromlieferungen aus dem Ausland, und das hat wichtige Gründe. In Frankreich heizt man immer noch mit Strom und das als Direktheizung und nicht etwas mittels Wärmepumpe was wesentlich weniger Strom brauchen würde.
Dazu die TAZ vom 3.2.2019
Im Januar war eine ungewöhnliche Konstellation am europäischen Strommarkt zu beobachten: Deutschland exportierte in der Monatsbilanz fast 1,5 Milliarden Kilowattstunden nach Frankreich – per Saldo gerechnet, also kurzzeitige Importe bereits abgezogen. Ein solcher Exportüberschuss nach Frankreich ist einmalig.
Verantwortlich dafür sind mehrere Faktoren: In Frankreich steigt bei Kälte der Strombedarf enorm. Gleichzeitig waren im Mittel 8 der 58 Atomkraftwerke im Land nicht verfügbar. Und schließlich war auch, wie das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien in Münster mitteilt, die französische Wasserkraft im Januar sehr schwach. (…)
Das Problem der französischen Energiewirtschaft zeigen übrigens auch die historischen Verbrauchsspitzen: Im kalten Februar 2012 stieg die Last im dortigen Stromnetz zeitweise bis auf 102 Gigawatt an. Deutschland kam zeitgleich mit 88 Gigawatt aus – trotz einer um fast ein Viertel höheren Einwohnerzahl.
Dass die Situation nicht ein allgemeines Problem ist, sondern sich besonders an den sozialen Rändern in Frankreich auswirkt, ist in einem Artikel von Telepolis vom 30. Januar 2020 beschrieben, den ich meinen Lesern besonders ans Herz lege.
Wir haben also keinen Spielraum mehr für Desinformationen, wir haben keinen Spielraum, um das Pariser Abkommen mit dem Ziel 1,5 Grad außer Acht zu lassen. Und deshalb kann es keine Berufschancen mehr für Journalisten geben, die sich einen Dreck drum scheren, was die einfachsten Belange von Klima, Umweltschutz und Energiewende angeht. Sie müssen sich in den einfachsten Dingen der Energiewende auskennen und dazu gehört auch der Energiesystemkonflikt, nach dem gerade der Journalismus es ist, der mit jeder Menge Desinformationen der alten Energiekonzerne gefüttert wird, damit ihr altes Geschäft mit Kohle, Gas, Erdöl und Atom noch ein paar Jährchen weitergehen kann. Es geht um die Vermittlung von Wissen und tatsächlichen Hintergründen. Dafür braucht es aufgeklärte Journalisten und aufklärenden Journalismus.
Sonnige Grüße
Klaus Müller
energiewende-rocken und eemag
P.S. Ach ja, ich hatte es bereits vergessen, genau mit der Behauptung, Deutschland würde bereits mehr Atomstrom aus Frankreich beziehen als umgekehrt, hatte es doch die neue Plattform “ThePionieer”, von Gabor Steingart, auch ein Journalist, der sich jetzt eher im halbseidenen Format der Desinformationen bewegt, versucht. Und dazu hatte er die Situation genauestens analysiert und eine Grafik erstellen lassen. Wirklich dumm daran war aber, dass er sich überhaupt nicht mit Quellen und Interpretationen von Zahlen und Grafiken auskannte. Sollte es da vielleicht sogar Verbindungen zu Christian Sievers geben? Ich meine ja nur…
Und so wie es aktuell steht ist der Artikel über Steingart jetzt 4.719 mal gelesen, oder geklickt worden. Für meine Verhältnisse nicht schlecht.
Ach ja, und noch etwas, das Medienversagen in Sachen Energiewende und Klimaschutz findet sich natürlich auch in der ARD. Nun muss man ja wirklich betonen, in den Sendern gibt es auch andere, nur bisher haben die alten und neuen Hirsche das Sagen und sind in der Mehrzahl auf dem Sender.